Im Rückblick: Abkommen von Minsk

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Im Rückblick: Das (die) Abkommen von Minsk

So um Mitte Oktober ist das bzw. sind – genau genommen – die Abkommen von Minsk bei unterschiedlichen Gelegenheiten ins Gerede gekommen. Darum soll es in einem kleinen Rückblick gehen.

„Als Putin noch auf Verhandlungen setzte“

Das stammt – als Überschrift – aus einem Interview mit Martin Sajdik im Kurier vom 10. Oktober 2022. „Ein Österreicher führte die letzten Gespräche mit Russland über eine Lösung für die Ukraine.“ Sajdik war „Leiter der internationalen OSZE-Mission in der Ukraine und sollte eine diplomatische Lösung für den Konflikt ausverhandeln – in Minsk, Belarus, an einem Tisch mit Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland.“ Sajdik hält fest: „Moskau hat bis Anfang dieses Jahres darauf gesetzt, im Minsker Prozess am Verhandlungstisch eine Lösung zu finden – eine ihm genehme Lösung. … Putin wollte ein ständiges indirektes Mitspracherecht in der ukrainischen Politik über einen von den Separatisten geführten Osten. … Autonomie’ für diesen Osten, das war das Konzept der Russen, ‘Dezentralisierung’ das der Regierung in Kiew. Und diese beiden ließen sich nicht auf einen Nenner bringen. Das aber, betont Sajdik, sei nicht nur die Schuld der Russen gewesen: ‘Kiew kam nur langsam bei der Dezentralisierung der Ukraine voran. Da ist bis zum Ausbruch des Krieges nichts passiert. Auch in anderen Bereichen hätten die so manches besser machen können. Da wurde vieles versprochen, aber nichts umgesetzt.’“ (Kurier 10.10.2022)

Das von Sajdik erwähnte „ständiges indirekte Mitspracherecht in der ukrainischen Politik über einen von den Separatisten geführten Osten“, also der Status Russlands als einer anerkannten Schutzmacht der russischen Bevölkerung in der Ostukraine, das war in der Tat der russische Anspruch und das war der russische Erfolg des Minsker Abkommens – das einen „Fahrplan“ für diese Status- und Verfassungsänderung skizzierte. Das war für die Ukraine von Anfang an unannehmbar, von Sajdik ausgedrückt als „da wurde vieles versprochen, aber nichts umgesetzt“ – es fragt sich daher, warum die Ukraine überhaupt unterschrieben hatEtwas deutlicher wird ein amerikanischer Ex-Botschafter:

Jack F. Matlock, ehemaliger US-Botschafter in der Sowjetunion und Direktor für europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat der USA, hat in einem bemerkenswerten Beitrag für die US-Denkfabrik ‘Institute for Responsible Statecraft’ die US-Regierung aufgefordert, alles zu tun, um einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erreichen, und zudem erklärt, dass der Ukraine-Krieg ‘wahrscheinlich’ hätte verhindert werden können, wenn Kiew das Minsker Abkommen, insbesondere den Autonomie-Status für den Donbass, umgesetzt und auf NATO-Ausbilder verzichtet hätte.“ (19.10.2022, auf https://www.nachdenkseiten.de/?p=89422)
https://responsiblestatecraft.org/2022/10/17/on-ukraine-the-us-is-on-the-hook-to-find-a-way-out/

Nun, Mr. Matlock hat offenbar übersehen, was inzwischen auf Basis des schon erfolgreich gelaufenen Krieges und seiner Resultate westlicher Standard ist. Die Vorstellung, es komme auf einen Waffenstillstand und auf eine Art von „Lösung“ an, mit der alle Beteiligten irgendwie „leben“ können, die ist inzwischen völlig überholt und inadäquat; der Stellvertreterkrieg soll sich in die Länge ziehen und die russische Armee weiter dezimieren; das ist bisherige Erfolg, und der darf auf Kosten der Ukraine prolongiert werden.

Noch deutlicher der nunmehrige italienische Regierungspartner Berlusconi in einem Mitschnitt: „‘Wisst ihr, wie die ganze Ukraine-Sache begonnen hat?‘, hört man Silvio Berlusconi sagen. Er bittet die Gesprächspartner um Vertraulichkeit, dann holt er aus: Nicht Russlands Präsident Wladimir Putin, sondern dessen ukrainisches Gegenüber Wolodimir Selenskij habe den Konflikt eskalieren lassen, indem er die Angriffe auf die separatistischen Republiken Donezk und Lugansk ‘verdreifacht’ habe – ein Verstoß gegen das Minsker Abkommen von 2014. Putin habe gar keine andere Wahl gehabt, als seine Verbündeten zu verteidigen.“ (Kurier 21.10.2022)

Dazu eine Zwischenbemerkung zu einer beliebten Technik der Propaganda. Wenn Berlusconi oder wer auch immer eine russische Position zitiert – ukrainische Angriffe auf die Separatisten in Donezk und Lugansk, ein Verstoß gegen den Waffenstillstand und das Minsker Abkommen –, dann wird man in der Regel nicht einmal dem Anschein nach mit einer Widerlegung oder auch nur einem „Faktencheck“ konfrontiert. Die herrschende Propagandatechnik besteht in dem Fall schlicht in einer Wiederholung der russischen Position, und das im Gestus, diese Position sei ohnehin von vornherein indiskutabel und absurd und völlig jenseits – so dass so etwas wie eine Widerlegung oder auch nur eine inhaltliche Diskussion völlig unnötig und quasi gar nicht möglich sei. Speziell die russischen Vorwürfe, eine russischsprachige oder Russland-affine Bevölkerungsgruppe im Osten der Ukraine würde drangsaliert, die wird gern auf diese Weise „erledigt“ – nämlich durch bloßes Zitieren und die Angabe der Quelle, womit sie schon als unhaltbar, absurd und abwegig hingestellt sein soll. Wer so tut, als sei die Wiederholung einer russischen Position ohnehin identisch mit deren Widerlegung, bzw. als sei die Position schon dadurch ad absurdum geführt, dass sie aus Russland kommt – der will sich selber dem Risiko der Widerlegung oder auch der bloßen Faktenprüfung nicht aussetzen. Wenn jemand argumentiert, macht er sich zumindest der Form nach angreifbar, man liefert Argumente und Belege und stellt diese zur Debatte, wie das eben in diesen Beiträgen von „Kein Kommentar“ der Fall ist. Wer Positionen bloß referiert und wiederholt, ohne Argument, bloß im unermüdlich wiederkäuenden Gestus, jedes Argument erübrige sich ohnehin, weil die angefeindete Position von vornherein absurd sei – der will sich der Diskussion und damit dem Risiko der Widerlegung gar nicht erst aussetzen. (Zwischenbemerkung Ende).

Bemerkenswert an diesen zitierten Stellungnahmen ist: Sie erinnern daran, dass in diesen Abkommen Russland, allein schon durch seine Anerkennung als Verhandlungspartner, ein legitimes Recht auf Einfluss auf die ukrainischen Verhältnisse zugestanden wurde, im Namen der russischsprachigen Bevölkerung im Osten. Noch einmal die entscheidende Passage von Botschafter Sajdik: „Moskau hat bis Anfang dieses Jahres [2022] darauf gesetzt, im Minsker Prozess am Verhandlungstisch eine Lösung zu finden – eine ihm genehme Lösung. … Putin wollte ein ständiges indirektes Mitspracherecht in der ukrainischen Politik über einen von den Separatisten geführten Osten.“ Stimmt! Ob nun „Dezentralisierung“ oder „Autonomie“, ist ziemlich egal, auch „Kantonisierung“ oder „Föderalisierung“ war im Gespräch; aber genau das war – Unterschrift hin, Unterschrift her – für die Ukraine unannehmbar. Deswegen wurde das Abkommen von Seiten der Ukraine von Anfang an hintertrieben, um die damit gewonnene Zeit zur Aufrüstung zu nutzen. „Da wurde vieles versprochen, aber nichts umgesetzt.“ Zur weiteren Erinnerung:

Friedliche Osterweiterung am Ende

Um den Jahreswechsel 2013/2014 war der friedliche Weg der EU nach Osten, bis unmittelbar an die russische Grenze, an ein Ende gekommen. Die europäische Union hat der krisengebeutelten, seit 2008 bankrotten und vom IWF abhängigen Ukraine ein Assoziationsabkommen vorgelegt, das neben der völligen Unterordnung unter europäische Vorschriften, aber ohne die Rechte eines Mitglieds, vor allem auf die Auflösung der immer noch bestehenden ökonomischen Verbindungen und Abhängigkeiten zu Russland hinauslief. Der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch hat seine Unterschrift noch einmal verweigert und versucht, mit der EU zu handeln, mit der Begründung, dass sein Land die im Vertrag niedergelegten Forderungen der EU nicht aushält. Er hat sich, um den Staatsbankrott abzuwenden, sogar Wirtschaftshilfe in Moskau besorgt, wollte also die bisherige sog. „Schaukelpolitik“ fortsetzen, und den Abhängigkeiten gegenüber Russland weiter Rechnung tragen. Damit war er für die EU untragbar und als Verhandlungspartner nicht mehr akzeptabel. Der Umsturz – wahlweise ein „Putsch“ prowestlicher Kräfte, oder die berechtigte „Revolution“ eines prowestlichen Volkes – begann, angefeuert u.a. vom deutschen Außenminister, der in einer auswärtigen Hauptstadt die Bevölkerung zum Aufstand gegen den immer noch demokratisch gewählten Präsidenten aufhetzt. Dazu zwei Anekdoten:

Seit der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 haben die USA die Ukrainer dabei unterstützt, demokratische Kompetenzen und Institutionen aufzubauen, Bürgerbeteiligung und good governance zu fördern, allesamt Vorbedingungen für die Verwirklichung der europäischen Bestrebungen der Ukraine. Wir haben über fünf Mrd. $ an Hilfe in die Ukraine investiert, um ihr bei bei diesen und anderen Zielen zu helfen, die für eine sichere, wirtschaftlich prosperierende und demokratische Ukraine sorgen. (Victoria „Scheiß auf die EU“ Nuland, Remarks at the U.S.-Ukraine Foundation Conference, state.gov 13.12.13)

Diese „Investition“ hat sich gelohnt, und wofür sie gebraucht wurde, hat der damalige US-Außenminister erläutert:

Freie Wahlen führen nicht immer zu Demokratie, äußerte US-Außenminister John Kerry … Kerry verglich die Ereignisse in der Ukraine mit der Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi im vergangenen Juli. Diese Beispiele beweisen, dass Wahlen alleine für die Herstellung eines demokratischen Regimes nicht ausreichend seien, so Kerry. ‘Demokratie wird nicht allein durch Wahlen bestimmt. Es mag sein, Sie haben eine demokratisch gewählte Regierung, wobei Sie keine Reformen vornehmen, welche sich auf demokratische Prozeduren stützen und eine vollwertig funktionierende Demokratie gewährleisten.’“ (RIA Novostio, 27.2.2014)

Zur Erinnerung: Die Muslimbruderschaft hat während der kurzen Phase der Demokratie in Ägypten alles gewonnen, was demokratisch zu gewinnen war: Parlamentswahlen, Präsidentschaftswahlen, Abstimmung über die Verfassung. Das kann man gern bedenklich finden oder auch super, weil demokratisch, aber das verlogene Politikerpack hält im Bedarfsfall eben beides fest: Wenn ein „Autokrat“ delegitimiert werden soll, dann sind die Wahlen eine heilige Kuh. Wenn die Wahlen aber „falsch“ ausgehen, dann ist das demokratische Ergebnis auch nicht das letzte Wort.

Nach der Entmachtung des demokratisch gewählten Janukowitsch in Kiew ging im Osten der Ukraine und auf der Krim auch ein Umsturz los, ziemlich analog der aufregenden Ereignisse auf dem Maidan in Kiew vorher, mit dem Ergebnis der „selbsternannten“ Republiken Donezk und Lugansk und kurz darauf folgenden Annexion der Krim. Im Osten der Ukraine hatten nicht wenige Leute den Eindruck, nun auf den Status einer diskriminierten Minderheit heruntergedrückt zu werden – dieser Aufstand wurde im Westen allerdings genau umgekehrt benotet: Nicht als legitime Revolution der russischen Bevölkerung gegen die feindselige Zentrale in Kiew, sondern als vom – falschen, weil russischen – Ausland orchestrierte Machenschaft, die also mit dem edlen Aufbegehren des vom Westen geförderten Volkes in Kiew nichts gemein habe … Ein Stück weit erfolgreich war der Separatismus durch seine russische Unterstützung schon, das hat letztlich zu „Minsk“ geführt. Unter dem Druck der militärischen Schwäche hat die Ukraine damals unterschrieben.

Die wesentlichen Ergebnisse von „Minsk“

Seither – immerhin sind ein paar Jahre vergangen – sind die wesentlichen Änderungen vorangekommen, und die bestanden eben nicht in den vereinbarten Änderungen der ukrainischen Verfassung zur Implementierung der Rechte der russischen Minderheit: Die Ukraine wurde massiv aufgerüstet, von der NATO bzw. den USA. In einer neuen Militärdoktrin hat sich die Ukraine selbst beauftragt, die Separatistengebiete und die annektierte Krim zurück zu erobern, allerdings mit der optimistischen Stoßrichtung, den Krieg nur beginnen zu müssen, weil der dann von der NATO – vulgo: der „internationalen Gemeinschaft“ – siegreich im Interesse der Ukraine beendet werden würde. Diese Militärdoktrin wurde auch in Russland zur Kenntnis genommen. Die Geschichte vom selbstverständlichen Kriegseintritt der NATO war aber offenbar ein in der Ukraine dermaßen verbreitetes Lügengebäude, dass der ORF-Korrespondent Wehrschütz (am 6.3.2022 in der Kronenzeitung) mit folgender Information aufhorchen ließ:

Ich habe immer gesagt: Kein Soldat der NATO wird bereit sein, für die Ukraine zu fallen, arrangiert euch mit Russland! Deshalb war ich ja ein Staatsfeind.“

Bemerkenswert die Einstellung des Publikums, das den Berichterstatter als „Staatsfeind“ eingestuft hat! Es herrschte offenbar das „Narrativ“, sich mit Russland sicher nicht entlang des „Minsker Abkommens“ arrangieren zu müssen, weil ohnehin die NATO auf der Matte steht und zuschlägt. Auch der ukrainische Präsident hat zu Beginn des Krieges unermüdlich die Vorstellung von der NATO als einer Art Hilfsorganisation vertreten, in Form der Enttäuschung. Die NATO-Hilfsorganisation hat ja durchaus eingegriffen, aber anders: Nicht die Ukraine benutzt die NATO, es ist umgekehrt; die NATO liefert die Waffen und das Geld, die Ukraine das Menschenmaterial, und kriegt die Zerstörungen ab.

Die Rechte der russischen oder russischsprachigen Bevölkerung sind seither kein Thema, zumindest nicht im Westen, das „Recht auf Selbstbestimmung“ existiert für sie nicht. Der Westen hat diese Abspaltung und die Annexion der Krim nie anerkannt; berufen hat man sich auf die „Territoriale Integrität“ und die „Souveränität“ der Ukraine. Der westliche Politiker hat bekanntlich, wenn es um Grenzen und Grenzänderungen geht, zwei höchste „Werte“, die je nach außenpolitischem Bedarf aus der Hosentasche gezogen werden. Der andere Wert neben der territorialen Integrität wäre eben das „Selbstbestimmungsrecht des Volkes“. Das plakative, immer aktuelle Beispiel ist die nähere Umgebung, nämlich das ehemalige Jugoslawien oder auch Serbien: Damals war die „territoriale Integrität“ Jugoslawiens nichtig und das „Selbstbestimmungsrecht“ der Separatisten war heilig, so wie auch beim Kosovo im Verhältnis zu Serbien; bei der ehemaligen Jugo-Teilrepublik Bosnien-Herzegowina ausgerechnet innerhalb der ehemaligen innerjugoslawischen Grenzen ist es genau umgekehrt: Deren territoriale Integrität ist heilig, und das Selbstbestimmungsrecht der serbischen – und auch der kroatischen – Volksgruppe gilt nichts.

Die Waffenstillstandslinie nach „Minsk“ war also ein jederzeit aktivierbares und eskalierbares Schlachtfeld. Das hat die Ukraine beherzigt, vor allem durch die Ermunterungen der USA, die bei „Minsk“ nicht dabei waren, womit die diesbezüglichen Garantien der Westmächte Frankreich und Deutschland wertlos wurden. Der zitierte Hinweis von Berlusconi, Selenskijhabe den Konflikt eskalieren lassen, indem er die Angriffe auf die separatistischen Republiken Donezk und Lugansk ‘verdreifacht’ habe“, ist ja sachlich richtig, im Zuge dessen hat die Ukraine auch wenig Diskretion an den Tag gelegt, die Waffenstillstandslinie wurde regelrecht als Trainingsgelegenheit für Gefechte benutzt, von der ukrainischen Armee, womit die Lage in den Separatistengebieten immer unhaltbarer wurde. Der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Danilov, erklärte Ende Jänner „Minsk“ für erledigt: Er „warnt den Westen, sein Land zu zwingen, das Friedensabkommen für die östliche Ukraine zu erfüllen, das von Frankreich und Deutschland ausgehandelt wurde. … Als sie unter russischen Gewehrläufen unterzeichnet wurden – und die Deutschen und die Franzosen zusahen – war es bereits für alle vernünftigen Menschen klar, dass es unmöglich ist, diese Dokumente umzusetzen.“ (U.S. News & World Report, 31. Januar 2022)

Am 21. Februar dieses Jahres 2022 erklärte Putin das Minsker Abkommen für gescheitert – da hat er also nicht mehr „auf Verhandlungen gesetzt“; Moskau verlautbarte die Anerkennung der bisher nur selbst proklamierten Volksrepubliken Donezk und Lugansk; drei Tage später begann der russische Angriff.

*

Bin im Zuge der Vorbereitung dieses Beitrags auf eine andere Stellungnahme des erwähnten ehemaligen US-Botschafters Matlock in Moskau gestoßen, in der dieser sich 2015 als „Realpolitiker“ geäußert hat:

Wenn China anfangen würde, eine Militärallianz mit Kanada und Mexiko zu organisieren, würden die USA das nicht tolerieren. Wir würden uns auch nicht auf abstrakte Prinzipien von internationalem Recht beschränken lassen. Wir würden das verhindern. Mit jedem Mittel, das wir haben. Jedes Land, das die Macht dazu hat, würde das tun. (…) Putin handelt so, wie jeder russische politische Verantwortliche unter diesen Umständen handeln würde. Der Umsturz in Kiew im vergangenen Februar hat Leute in den Sicherheitsapparat gebracht, die vehement antirussisch sind und die politisch so weit rechts stehen, dass man sie ohne Übertreibung Neonazis nennen kann. Die gewaltsame Übernahme von Regierungsgebäuden hat im Westen der Ukraine begonnen. Nicht im Osten.“ (Interview taz, https://taz.de/Ex-US-Botschafter-ueber-Ukraine-Krise/!5033743/)

Die angesprochenen „abstrakten Prinzipien von internationalem Recht“ meinen die Formel vom „legitimen Recht jedes Staates“, jedem russlandfeindlichen Militärbündnis beizutreten … Der Mann ist sicher kein weltfremder Gutmensch, aber einer, der – noch immer – Russland so etwas wie legitime Interessen zuerkennt; und der es auch nicht nötig hat, die ukrainischen Faschistereien schönzureden oder zu verschweigen.

Nachdem die derzeitige Meinungsbildung keine Interessen mehr kennt, nur noch Werte, nachdem die Moral überkocht und das verlangt ist, was sonst „Populisten“ und „Querdenkern“ vorgeworfen wird, nämlich einfache Antworten und schwarz-weiß-Malerei – „wir gut, Russ bös!“ –, mal eine Frage an das Publikum: Wenn die westlichen Werte wie demokratische Wahlen oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker oder die territoriale Integrität oder die Absage an den Faschismus so selektiv und situationselastisch gehandhabt werden – könnte es sein, dass der Unterschied von „Gut“ und „Böse“ aus einer langen Liste von Lügen besteht? Was nun?

Literatur:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-europa-geht-an-grenzen-friedlichen-eroberung
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/buergerkrieg-ukraine-eine-neue-weltpolitische-konfrontation
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/minsker-abkommen

https://www.nachdenkseiten.de/?p=89422

Why the US must press for a ceasefire in Ukraine

https://taz.de/Ex-US-Botschafter-ueber-Ukraine-Krise/!5033743/

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